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 Markt-Sprache 

 

Praktisches Mundwerk - vom Hören und Sprechen
Nachdem wir nun wissen, was  wir theoretisch tun können, um unseren Worten den Klang vergangener Zeiten zu verleihen, kommen wir zur drängenden Frage, wie  wir die Marktsprache praktisch erlernen.
Lauschen
Die erste und wichtigste Übung beim Erlernen einer Sprache ist das Hören. Bei der Marktsprache ist es nicht anders. Es ist durchaus nicht unredlich, sich an denen zu orientieren, die eine Sprache bereits beherrschen. Neben den hier darstellbaren Regeln gibt es ja auch noch Tonfälle, Haltungen und Gesten. Alldies will erlernt sein, und der einfachste Weg dorthin ist, mit "Ohren und Augen zu stehlen".
Das meiste derart "Aufgeschnappte" eignet sich durchaus irgendwo zur eigenen Verwendung. Und mit der Zeit schärft sich auch die Wahrnehmung für Redewendungen und Bonmots, die nur zu einer Person gehören - und daher respektvoll vermieden werden.
Standards finden
Es gibt Situationen, die sich wiederholen. Sei es die ständige Frage nach dem Preis einer Ware ("Waskostndas?") , der Beschaffenheit der verwendeten Elemente ("Ist das Feuer echt?") , dem Status der Mitwirkenden ("Sind Sie ein Verein?") , und derlei mehr.
Hier endlich findet sich ein weites Feld, unsere mundwerklichen Kniffe mit bereits Aufgeschnapptem erfolgreich zu kombinieren. Auf solche Situationen können wir uns in Ruhe vorbereiten. Wir legen uns etwas zurecht, das wir in dieser Situation beim "nächsten mal" sagen werden: Nach allen Regeln der Kunst, aber so beiläufig, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
In dem Augenblick, da wir solch eine vorbereitete Antwort zum ersten mal erfolgreich an die "Bestie Publikum verfüttert" haben, ist unser erstes "Standard-Sprüchleyn" geboren. Es wird nicht das einzige bleiben.
Nachdem wir genug Antworten parat haben, können wir uns ebenso gemach daheim darauf vorbereiten, den geschätzten Gästen zuvorzukommen. Die zweite Generation von "Standards" spricht unsere Gäste an, und natürlich wissen wir auch schon, was wir auf diese oder jene Antwort entgegnen werden. Immerhin sind einige Reaktionen bereits vorhersehbar. Und wenn sich dann wirklich eine unerwartete Situation ergibt, bleiben uns immer noch die Anrede (und das Wenige, das in solch einem Augenblick von den sprachlichen Grundregeln noch im Kopfe bleibt), um völlig selbstverständlich das neue Thema zu erörtern.
Da wir zwischendurch auch lesen, finden wir natürlich auch eine Fülle von Formulierungen, alten Worten und kurzen Versatzstücken, die nur darauf warten, von uns wiederbelebt zu werden. So dauert es gar nicht lange, und wir können uns dank dieses Schatzes in der gewählten Figur vor dem versammeltem Markte präsentieren.
Spätestens jetzt wird es Zeit, daß jemand an uns herantritt, um uns zu fragen, wie wir das denn machen. Ihr würdet nicht glauben, wie schnell das geschieht (daher steht es hier nicht).
Kneifen gilt nicht
Wer den Wunsch zum Sprechen in die Tat umsetzen möchte, sollte sich diesen Satz faustdick hinter die Ohren schreiben. Besser ein Dutzend kleine und nur halbgare Antworten mit nachfolgendem Gestotter, als wieder einmal in fürnehmer Zurückhaltung ungewissen Sinnes geschwiegen zu haben. Wer es in der Praxis vorzieht, schüchtern zu sein, hat auf diesen Seiten nur Zeit vertan und sollte endlich weitersurfen.
Das Publikum gewährt uns gerne einen gewaltigen Glaubens-Bonus: Was immer wir tun, es glaubt uns gern, daß dies ein Teil der Inszenierung sei. Wir könnten dies auf die Spitze treiben und in Pseudo-Luther-Deutsch über Flugzeuge referieren: Solange es begründet scheint und mit dem Ausdruck innerer Überzeugung geschieht, wird sich niemand wirklich daran stoßen. (Der Autor legt wert auf die Anmerkung, dies bereits erfolgreich vollbracht zu haben.)  Was immer wir von uns aus tun und sagen: Es wird gerne angenommen. Wir müssen uns nur selbst glauben, das zu meinen, was wir da tun.
Dabei ist die gefürchtete "Bestie Publikum" weitaus weniger versessen auf die "perfekte Show", als wir gemeinhin befürchten. Das Gegenteil ist der Wahrheit wesentlich näher. Auch das Publikum weiß, daß alles "nur ein Spiel" ist. Kleine Patzer, unvermeidbare Entgleisungen und gelegentliche Unsicherheiten zeigen, daß wir echte Menschen sind, die sich bemühen. Und diese Mühe wird honoriert. Unsere Aufgabe besteht ja eben nicht darin, bis ins allerletzte Detail hinein das "echte gewesene Mittelalter" in zweifelsfreier Gültigkeit und steriler Entfernung zum minutiös analysierbaren Erlebnis zu bieten (auch, wenn wir uns bei unseren "ersten Schritten" genau so fühlen). Unsere Fehler zeigen uns menschlich und bringen uns echte Symphatien - sowie einen erhöhten Glaubensbonus für den nächsten Versuch. Sogar, wenn wir laut sagen: "Gut. Das war's nicht. Ich probier das jetzt nochmal."
Üben
"Reden lernt man durch reden", wußte bereits Cicero (106 - 43 vChr). Was diesmal noch als unglückliches Gestotter von den Lippen tropfte, wird beim nächsten mal schon besser. Ohne neues Ausprobieren würden wir nicht merken, wann und wo es "hakt und klemmt". Derlei läßt sich dann ja ausbessern. Wenn es irgandwann einfach nicht mehr besser wird, habe ich vielleicht meine Grenze erreicht, Möglicherweise ist es vielleicht hier aber für mich und die Situation genau richtig. Womöglich ist es sogar richtig gut. Auch das soll vorkommen.
Nachfeilen
Wenn wir die vormals gefürchteten Situationen endlich sicher im Griff haben, wird es auch schon Zeit zur Selbstkritik. Denn es besteht die wirklich große Wahrscheinlichkeit, daß wir einige beachtenswerte Nuancen bei unseren Vorbereitungen vernünftigerweise vorerst zurückgestellt haben. Jetzt, wo wir nicht mehr stammeln müssen , dürfen wir uns den Luxus erlauben, am Bewährten herumzufeilen, bis es wirklich genau zu uns paßt. Dabei finden sich auch endlich Gelegenheiten, Langerwünschtes einzubauen.
Um noch einmal den gefürchteten Redner Cicero zu zitieren: "Suche nicht andere, sondern dich selbst zu übertreffen." Wenn Du an dem Punkt ankommst, wo Dir das nicht mehr möglich ist, wird es Zeit für eine neue Herausforderung - oder bequemes Zurücklehnen auf gediegenes Mundwerk. Das liegt dann bei Dir.
Spiel = Freude
Im professionellen Schauspiel gibt es nichts, das von Regisseuren, Intendanten und dem Publikum mehr geschätzt würde als die "Spielfreude". Was Profis so wertvoll ist, darf auch uns aus gutem Grund willkommen sein. Was immer wir auf mittelalterlichen Märkten tun: Eigentlich tun wir es doch, um uns und anderen kurzweilige Freude zu bereiten. Es täte uns gut, das stets im Gedächtnis zu behalten, denn immerhin spielen  wir Mittelalter. Spielen ohne Freude allerdings wäre die verbrachte Zeit nicht wert.
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Hajo Dreyfuß
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